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Aus der ZeitschriftAsyl 1/2024 | S. 2–2Es folgt Seite №2

Ein Versprechen für jedes Kind

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes haben wir als Gesellschaft jedem Kind bis 18 Jahre in der Schweiz ein Versprechen gegeben: wir schützen, fördern und beteiligen es. Universell, diskriminierungsfrei und unter Berücksichtigung seiner eigenen Meinung.

Um dieses Versprechen umzusetzen, braucht es allgemein gültige Handlungsmaximen. In erster Linie müssen wir Erwachsenen anerkennen, dass Kinder eigenständige Rechtssubjekte sind. Partizipation ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. Kinder haben das Recht, alles zu erfahren, was für ihr Leben wichtig ist. Und sie haben ein Recht darauf, ihre Meinung zu sagen und Entscheidungen mitzugestalten. Dieser Grundsatz ist in der Kinderrechtskonvention festgeschrieben und bildet neben Schutz und Förderung einen der Grundpfeiler der Konvention.

Im Asylbereich findet keine systematische Berücksichtigung der Meinung von Kindern unter 14 Jahren statt. Das wird durch die Rechtsprechung gestützt. Im Gegensatz zu beispielsweise Scheidungsverfahren, wo die Altersgrenze bei 6 Jahren liegt, auch dies durch die Rechtsprechung gestützt. Darüber hinaus begnügt man sich allzu oft, die Bedürfnisse der Kinder im Asylverfahren über die Eltern zu erfragen oder die Information über wichtige Entscheide über diese erfolgen zu lassen. Diese Praxis widerspricht der Kinderrechtskonvention: Dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, dem verbrieften Recht auf Anhörung, Information und Partizipation und dem Prinzip, das übergeordnete Kindsinteresse vorrangig zu berücksichtigen. Diese Praxis überfordert die Kinder und ihre Bezugspersonen. Und sie berücksichtigt nicht die besondere Vulnerabilität von asylsuchenden Kindern, ob begleitet oder unbegleitet.

Die Möglichkeit der Kindesanhörung muss für jede wichtige Entscheidung, welche die Interessen des Kindes betrifft, vorhanden sein. Denn Kinder sind Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenswelt. Es liegt an uns Erwachsenen, sie als das anzuerkennen, ihnen aktiv zuzuhören und mit ihnen statt über sie zu reden. Geleitet von dieser Haltung haben das Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) und UNICEF Schweiz und Liechtenstein im Jahr 2023 den Leitfaden «Partizipation und Anhörung von Kindern im Asylverfahren» erarbeitet. Ergänzt wird diese mit einer Information für Kinder und ihre Begleitpersonen, die in einfacher Sprache über die Rechte bezüglich Anhörung und Partizipation informiert.

Anhörungen im Asylverfahren sind komplex. Aufgrund der weitreichenden Aufgaben und einschneidenden Entscheidungen der Behörden sowie der besonderen Vulnerabilität der Kinder. Der Leitfaden, welcher in dieser Ausgabe vorgestellt wird, soll Fachpersonen bei der konkreten Durchführung von Gesprächen mit Kindern umfassend unterstützen. Denn mit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention haben wir als Gesellschaft jedem Kind in der Schweiz ein Versprechen gegeben: wir schützen, fördern und beteiligen es. Und wenn wir sagen «jedem Kind», dann meinen wir alle. Diesem Credo folgen auch die weiteren Beiträge in diesem Heft. Wir wünschen eine gute Lektüre!